Was ist Gemeinsames Lernen (ehemals Gemeinsamer Unterricht)?
Gemeinsames Lernen bedeutet, dass Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen gemeinsam mit nichtbeeinträchtigten Kindern und Jugendlichen in allgemeinen Grundschulen und weiterführenden Schulen lernen. Kinder mit besonderen Unterstützungsbedarfen werden also nicht von den übrigen Kindern getrennt, sondern wachsen stattdessen in ihrem natürlichen Lebensumfeld auf. Das Recht auf Gemeinsames Lernen schließt grundsätzlich alle Kinder ein, unabhängig von der Schwere einer Behinderung.Ausgehend von den jeweiligen Unterstützungsbedarfen sollen jedem Kind individuell angepasste Lernwege ermöglicht werden. So sollen alle SchülerInnen im Sinne der individuellen Förderung ihre bestmöglichen Lernerfolge erreichen können. Das Gemeinsame Lernen erfordert multiprofessionelle Unterstützung von verschiedenen Pädagogen, weiteren Fachleuten und die Enbeziehung der Eltern. AllgemeinschullehrerInnen, SonderpädagogInnen und teilweise SchulbegleiterInnen arbeiten zeitweise gemeinsam in Klassenraum. Die LehrerInnen übernehmen gemeinsam die Unterrichtsvorbereitung und die notwendige Differenzierung.
Gemeinsames Lernen bedeutet konkret: Alle Schüler lernen überwiegend in den gleichen Räumen, an gemeinsamen Themen, mit individuell angepassten Aufgaben und unterschiedlichen Anforderungen. Dabei ist laut § 24 der UN-Behindertenrechtskonvention zu gewährleisten, dass den SchülerInnen mit Beeinträchtigungen im Gemeinsamen Lernen die gleiche personelle und sächliche Unterstützung (z.B. mit SchulbegleiterInnen, Sonderpädagogen-Stunden, Hilfsmitteln) zuteil wird, wie dies auch in Förderschulen der Fall ist.
Beim Gemeinsamen Lernen spielt auch das soziale und wertegebundene Lernen eine bedeutende Rolle. Die SchülerInnen leben und lernen in heterogenen Gemeinschaften. Hier können sie den Umgang mit „Unterschiedlich-sein“, „Anders-sein“ und die Wertschätzung menschlicher Vielfalt (er)leben und (er)lernen.
Unter dem Punkt Praxisbeispiele finden Sie auf dieser Homepage Filmbeiträge, die zeigen, wie das Gemeinsame Lernen in der Praxis aussehen kann.
Einen konkreten Eindruck vom Gemeinsamen Lernen vermittelt auch der preisgekrönte Dokumentarfilm Berg Fidel. Kindergärten und Schulen können diesen auch über unsere Inklusionskisten ausleihen.
Wie sieht es in Deutschland mit dem Gemeinsamen Lernen aus?
Das Gemeinsame Lernen (früher als Gemeinsamer Unterricht bezeichnet) hat bei uns in Deutschland schon eine lange Tradition. Seit gut vierzig Jahren zeigen viele Schulen (und dies sind in den letzten Jahren immer mehr geworden), dass sie SchülerInnen mit und ohne Beeinträchtigungen erfolgreich gemeinsam unterrichten und alle davon profitieren können. Ein Teil dieser Schulen an denen auch schwer beeinträchtigte SchülerInnnen selbstverständlich leben und lernen zeigen, dass Inklusion keine behinderungsbezogenenen Grenzen hat. Dies ist beispielsweise im Dokumentarfilm Klassenleben eindrucksvoll zu beobachten.Trotz der Vielzahl an positiven Beispielen Gemeinsamen Lernens in Deutschland und auch in Nordrehin-Westfalen wird der Großteil der Schüler mit Beeinträchtigungen oder Lern- und Entwicklungsstörungen bei uns weiterin seperat in Förderschulen unterrichtet. Im europäischen Ausland ist das Gemeinsame Lernen schon sehr viel selbstverständlicher als bei uns. Bei uns werden noch über 70 % der SchülerInnen mit Behinderung an Förderschulen unterrichtet. In anderen europäischen Ländern sind es im Durchschnitt weniger als 20 %. Deutschland ist damit – zusammen mit Belgien –weiterhin europäisches Schlusslicht in Sachen Inklusion. In keinem Land Europas gehen zudem mehr Schülerinnen und Schüler – gemessen an allen Schülerinnen und Schülern – auf Förderschulen.
Positiv ist, laut Studien der Bertelsmann-Stiftung, dass sich die Regelschulen immer mehr für Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf (Schüler mit Beeinträchtigungen) öffnen. Der so genannte Inklusionsanteil hat sich in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren fast verdoppelt. Im Schuljahr 2012/13 besuchten 23,9 Prozent der rund 119.000 Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf eine Regelschule. Vor fünf Jahren lag der Inklusionsanteil nur bei 12,4 Prozent. Nach wie vor liegt Nordrhein-Westfalen damit allerdings hinter dem bundesweiten Durchschnitt von 28,2 Prozent. (Quelle: Bertelsmann-Datenreport Inklusion Nordrhein-Westfalen 2014).Weitere interessante Daten und Fakten zum Thema Inklusion finden Sie unter den folgenden Links:
Bertelsmann Stiftung – Heterogenität und Bildung und Deutsche UNESCO-Kommission – Inklusive Bildung .
Warum ist das Gemeinsame Lernen wichtig?
Die Wichtigkeit des Gemeinsamen Lernens lässt sich mit vielen Argumenten belegen. Hier nur einige davon: (vgl. Wegweiser für Eltern zum Gemeinsamen Unterricht):- Nur wenn Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen gemeinsam mit anderen leben und lernen, haben sie eine Chance auf eine dauerhafte und wirkliche Teilhabe in unserer Gesellschaft. In Kindergärten und Schulen verbringen Kinder und Jugendliche den Großteil ihrer Zeit; hier machen sie die wirksamsten Erfahrungen im Umgang miteinander, hier schließen sie Freundschaften. Nur auf diesem Weg lernen sich Menschen mit und ohne Behinderung wirklich kennen, können Vorurteile ab- bzw. gar nicht erst aufbauen und sich in ihren Unterschieden und ihrer Vielfalt wertschätzen lernen. Die Praxis zeigt hier, dass durch das Gemeinsame Lernen ein selbstverständlicher Umgang miteinander gefördert wird.
- Gemeinsames Lernen bedeutet eine wohnortnahe Beschulung. Bereits bestehende Kontakte der Kinder zu gleichaltrigen Kindern, zu Nachbarn und Freunden werden so unterstützt. Durch die wohnortnahe Beschulung wird ein langer Transport-und Schulweg erspart: Dieser ist zum einen strapaziös und geht zum anderen zu Lasten der Freizeit der Kinder.
- Viele Studien haben bereits belegt, dass Gemeinsames Lernen bei entsprechenden Rahmungen zu besseren Schulleistungen und erhöhter Bildungsqualität für SchülerInnen mit Lern- und Entwicklungsstörungen oder Behinderungen führt. Dies liegt u.a. daran, dass sie im Gemeinsamen Lernen mehr Anreize bekommen etwas nachmachen und selber können zu wollen. Im Kindergarten- und Grundschullater ist das Imitationslernen besonders asugeprägt, so dass die Kindern mit besonderen Unterstützungsbedarfen an der Herausforderung und von ihren Klassenkameraden ohne Beeinträchtigungen lernen.
- Auch Kinder ohne besonderen Unterstützungsbedarf profitieren vom Gemeinsamen Lernen. Sie erfahren von Anfang an, dass Verschiedenheit normal ist. Durch den Umgang mit Verschiedenheit wird nachweislich Toleranz und Hilfsbereitschaft gefördert. Auch können nichtbehinderte Schüler in GU-Klassen ein positiveres Selbstwertgefühl und Leistungsselbstkonzept entwickeln und lernen auch eigene Schwächen besser zuzulassen. Nachgewiesen ist zudem, dass nichtbehinderte Kinder beim Gemeinsamen Lernen nicht in ihren Lernleistungen behindert werden.
Weiterführendes hierzu findet sich unter: Forschungsergebnisse zum Gemeinsamen Unterricht und in dem Gutachten Auf dem Weg zur schulischen Inklusion in Nordrhein-Westfalen.
Warum macht inklusive Bildung aus pädagogischen, sozialen und ökonomischen Gründen Sinn?
Quelle: Deutsche UNESCO-Kommission e.V.Es gibt pädagogische, soziale und ökonomische Gründe:
Da inklusive Bildungseinrichtungen alle Lernenden gemeinsam unterrichten und erziehen, finden Lehrer und andere Begleiter Mittel und Wege, auf individuelle Unterschiede einzugehen. Sie verbinden anspruchsvolle Bildung mit dem Eingehen auf individuelle Voraussetzungen und Lernentwicklungen. Davon profitieren alle Lernenden.
Es gibt zwar keine allgemeingültige Definition von Bildungsqualität, doch beinhalten die meisten Konzepte zwei wichtige Komponenten, die durch inklusive Bildung gefördert werden: erstens die kognitive Entwicklung des Lernenden und zweitens die Entwicklung von Werten, Einstellungen und gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein.
Ferner ermöglichen inklusive Kindergärten, Schulen und Universitäten durch die gemeinsame Förderung/ den gemeinsamen Unterricht, dass Vielfalt als normal erlebt wird. Unterschiedliche soziale Schichten, Migrationshintergrund, verschiedene Religionszugehörigkeiten, Hochbegabung, Lernschwächen werden als alltäglich erlebt. Diese Kinder und jungen Erwachsenen können aufgrund ihrer weltoffenen Erziehung einen wichtigen Beitrag zu einer weniger diskriminierenden Gesellschaft leisten. Inklusive Bildung begreift Vielfalt und individuelle Unterschiede als Ressource.
Darüber hinaus ist es gesamtwirtschaftlich betrachtet teurer, mangelhaft ausgebildete junge Menschen nachträglich zu qualifizieren und zu unterstützen, als ihnen von Anfang an mit inklusiver Förderung eine gute Bildung zu ermöglichen, die zu besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt und auf ein selbstbestimmtes Leben führt.